Die grossen Kleinen
Ein Projekt der Universität Bern analysiert die Funktion und Bedeutung von kleinen und mittelgrossen Städten in der Schweiz. Dabei zeigt sich: Die nationale Politik und Planungspraxis haben deren Potenzial noch zu wenig erkannt.

Politik und Verwaltung

Kleine und mittelgrosse Städte sind innovativer als gedacht

Lange schauten Politik und Forschung nur auf die Grossstädte. In einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten interdisziplinären Projekt analysierte ein Team um Heike Mayer, Professorin für Wirtschaftsgeographie, und Fritz Sager, Professor für Politikwissenschaft, die kleinen und mittelgrossen Städte (SMSTs) in der Schweiz in drei Studien. Die Forschenden teilten für die Untersuchung in einem ersten Schritt 152 Städte mit bis zu 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern in sieben Typen ein. Sie stellten fest: Die SMSTs sind in ihrer wirtschaftlichen Spezialisierung sehr heterogen. Heike Mayer betont: «Die nationale Politik hat noch keine Antwort auf die Heterogenität der SMSTs gefunden. Man schert stattdessen alle über einen Kamm.»

Einteilung in sieben Typen

Für die Einteilung der kleinen und mittelgrossen Städte in unterschiedliche Typen nahm das Forschungsteam um Heike Mayer bereits vorhandene Daten des Bundesamtes für Statistik als Grundlage. Ittigen bei Bern gehört etwa zu den «Prospering Residential Economy Towns», die sich hinsichtlich Vollzeitarbeitsplätzen und Bevölkerungszahl besonders gut entwickeln. Der Bund hat viele Verwaltungseinheiten nach Ittigen ausgelagert. So sind neue Arbeitsplätze entstanden, und die Stadt ist für Pendler sehr attraktiv geworden. Auch in den «Business Hub Towns», die im Vergleich durch viele Hauptsitze von Topfirmen charakterisiert sind, steigt die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze stark an. Zu ihnen gehört etwa die Flughafenstadt Kloten. «High Tech Towns» wie zum Beispiel Uzwil SG, die durch eine spezialisierte High Tech Industrie charakterisiert sind, wachsen bezogen auf Beschäftigungsgrad und Bevölkerungszahl unterdurchschnittlich. Ausser wenn sie in grossen Metropolitanregionen angesiedelt sind. SMSTs können sich in der gleichen Region befinden, aber dennoch sehr unterschiedliche wirtschaftliche Charakteristiken aufweisen. Die Region bestimmt nicht die Typologisierung – hat aber dennoch Einfluss: Denn je stärker sie als Ganzes wächst, desto eher wachsen auch die einzelnen SMSTs.

Kleine und mittelgrosse Städte
Die 152 kleinen und mittelgrossen Städte (SMSTs) der Schweiz wurden mittels einer Clusteranalyse in sieben Typen eingeteilt. Ausschlaggebend dafür war die dominierende wirtschaftliche Charakteristik. Auf der Karte hat jeder Typ eine eigene Farbe. Sie macht deutlich: Die Typologie ist von der Region unabhängig. (© Schweizerischer Nationalfonds SNF)

Lokalpolitische Strategien

Für den wirtschaftlichen Erfolg der Städte ist ausserdem essentiell, wie in lokalpolitischen Strategien bereits vorhandene Ressourcen genutzt werden. Rahel Meili hat zusammen mit ihrem Kollegen, dem Politikwissenschaftler David Kaufmann, vor Ort qualitative Interviews mit Politikerinnen und Politikern geführt. Ihre Untersuchung zeigt am Beispiel der Metropolitanregion Zürich, dass Kleinstädte ihre Wirtschaftsstruktur hauptsächlich durch Raumplanung beeinflussen können. Sie sei «der treibende Faktor für die Entwicklung von Bevölkerung und Arbeitsmarkt.» Das Forschungsteam empfiehlt deswegen, den SMSTs in nationalen Ansätzen wie dem Raumkonzept Schweiz mehr Beachtung zu schenken.

Wussten Sie, dass?

«Wädenswil ZH baut sich seit einigen Jahren gezielt als Bildungs- und Forschungsstadt auf – es beherbergt die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Agroscope.»

Firmen als Innovationsbooster

Heike Mayer hat besonders überrascht, dass auch die Firmen in den SMSTs sehr viel diverser und einfallsreicher sind, als bisher angenommen. Weil sie viele unterschiedliche Mitarbeitende brauchen, ziehen sie Menschen aus anderen Regionen und Ländern in die Kleinstädte. Und die Unternehmen nutzen deren Vorteile. Mayer betont: «Innovation entsteht auch in den kleinen und mittelgrossen Städten». Die Forschenden ziehen aus ihren Firmenbesuchen den Schluss: Die soziale Struktur in den SMSTs und der rege Austausch führen zu einem starken Identitäts- und Gemeinschaftsgefühl vor Ort.

Neue Perspektive aus der Forschung

Die Resultate aus der Feldforschung in den SMSTs sind laut Mayer im Licht internationaler Entwicklungen zu betrachten. Bisher seien die Vorstellungen von Städten in Politik und Forschung vor allem durch den Blick auf die Grossstädte geprägt gewesen. Für die Wirtschaftsgeografie sei der Gedanke neu und aufregend, dass die SMSTs ihre Diversität selber strategisch herstellen und so wirtschaftlich dynamisch und erfolgreich sein können. Heike Mayer schliesst: «Politik und Forschung in Europa entdecken die Kleinstädte etwa seit 2015. Das hat vermutlich einerseits damit zu tun, dass das Leben in den Grossstädten zu teuer wird, andererseits aber SMSTs heute gut erschlossen und attraktiv sind».

 

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